Wir sind verpflichtet, aus der Vergangenheit zu lernen

Medienkonferenz vom 4. April 2022 zum Pilotprojekt sexueller Missbrauch Katholische Kirche Schweiz

Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) hat gemeinsam mit der Konferenz der Vereinigungen der Orden und weiterer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (KOVOS) sowie der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) dieses Projekt initiiert und in Auftrag gegeben. Die Gerechtigkeit gegenüber allen Opfern erfordert dies. Da die römisch-katholische Kirche mit ihren historisch gewachsenen Machtstrukturen die Täterschaft darstellt, ist es unabdingbar, dass die lückenlose Erforschung jeglicher Missbräuche und ihrer Ursachen absolut losgelöst von den drei Institutionen aufgearbeitet wird. Die Schweizer Bischofskonferenz ist deshalb sehr dankbar, dass die beiden Professorinnen Monika Dommann und Marietta Meier des Historischen Seminars der Universität Zürich sich bereit erklärt haben, dieses Projekt zu leiten, und dass die Schweizer Gesellschaft für Geschichte (SGG) die Begleitung des Projektes sowie die Ernennung eines wissenschaftlichen Beirates übernommen hat.

Die Opfer von Machtmissbrauch, von Gewissensmanipulation und sexuellen Übergriffen können nicht in Frieden leben, solange das widerfahrene Unrecht nicht aufgedeckt wird, dessen Ursachen nicht geklärt und die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Die Kirche, viel mehr noch als die Zivilgesellschaft, muss alles daransetzen, diesem überaus berechtigten Anspruch endlich gerecht zu werden. Vergebung, Barmherzigkeit und Genugtuung können ein gerechtes Vorgehen und gerichtliches Verfahren nicht ersetzen. Es ist notwendig, die Verbrechen der Vergangenheit aufzudecken, die in der römischkatholischen Kirche verübt wurden. Die Lehren daraus müssen gezogen und in Zukunft muss alles darangesetzt werden, damit kein Unrecht mehr passieren kann. Die Aufarbeitung ist in erster Linie den Betroffenen geschuldet. Es ist die wesentliche Voraussetzung für alle weiteren Schritte zur Förderung eines professionellen Umgangs in der Seelsorge sowie einer adäquaten Wahrnehmung von Nähe und Distanz im kirchlichen Bereich. Diese Zäsur ist der erste Schritt in eine Kirche, die konsequent auf Vertrauen und Respekt aufbaut.

Die kirchlichen Leitungsinstanzen sind verpflichtet, aus der Vergangenheit zu lernen und alles daran zu setzen, damit Menschen in ihrer Würde, ihrer Spiritualität und sexuellen Integrität geschützt werden. Das bedingt, dass die Kirche zu einer lernenden Organisation wird, die bereit ist, eigene Fehler einzugestehen und bestehende Strukturen, welche Verbrechen und deren Vertuschung ermöglicht oder begünstigt haben, zu verändern. Die Studie und ihre Ergebnisse, welche nun mit diesem Pilotprojekt beginnt, sollten die Basis für eine angstfreie römisch-katholische Kirche werden. An erster Stelle stehen hier die Gläubigen und alle Menschen, welche mit ihren Anliegen an diese gelangen, aber auch die Seelsorgenden und andere kirchliche Mitarbeitende.

Das Thema wird uns nicht mehr loslassen. Wir werden uns künftig immer hinterfragen. Das ist wichtig und richtig. Die Untersuchung und Aufdeckung vergangener Fehler und Unterlassungen sind erst der Anfang. Aufarbeitung, Anerkennung der eigenen Schuld und vor allem Prävention werden – ja müssen – weitergehen. Die kirchlichen Strukturen, die Entscheidungswege und die Aufteilung der Zuständigkeiten müssen neu geregelt werden, damit sexueller und spiritueller Missbrauch wirksam verhindert werden können.

 

Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur
Verantwortlicher bei der Schweizer Bischofskonferenz für die Expertenkommission „Sexueller Missbrauch im kirchlichen Kontext“, +41 26 510 15 15, info@bischoefe.ch

 


 

Mediendossier

 

Weitere Informationen zum Pilotprojekt: