Für eine Kultur der Achtsamkeit und eine ganzheitliche Ökologie

Bischof Felix Gmür über die Enzyklika „Laudato si‘“

„Laudato si‘ – gelobt seist du“: Der Refrain des Sonnengesangs des Heiligen Franz von Assisi steht am Anfang und am Schluss des Textes. Das Lob der Erde, christlich gesprochen: der Schöpfung Gottes, ist Rahmen, Motivation und Ziel der Enzyklika von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus. Das gemeinsame Haus ist unsere Erde. Sie ist für uns Schwester und Mutter. Gelobt sei sie, Mutter Erde.

In einer weltweiten Perspektive thematisiert die Enzyklika die Ökologie, also die Rede über das Haus, das unsere Erde ist. Der Papst wendet sich ausdrücklich nicht nur an die Katholikinnen und Katholiken, sondern an alle Menschen.

Denn das Leben auf unserem Planeten und die Zukunft der Erde betreffen alle Menschen.Nach Art der Befreiungstheologie, die von den besonders Benachteiligten her denkt, und mit dem Dreischritt „Sehen – Urteilen – Handeln“ setzt sich der Papst zuerst mit der Wirklichkeit auseinander. Er wiederholt, was er schon in „Evangelii Gaudium“ schrieb: „Die Wirklichkeit steht über der Idee“. Die Wirklichkeit ist eine Krise. Wir stehen in einer aktuellen ökologischen Krise. Kennzeichen sind unter anderem Klimawandel, Klimaerwärmung, Raubbau an unseren Lebensressourcen, Abholzung der Urwälder, Überfischung, Verschmutzung der Meere, Seen und Flüsse, Abschmelzen der Gletscher usw. Das alles zusammen gefährdet die Zukunft des Lebens auf unserem Planeten. Doch schon jetzt hat die ökologische Krise Auswirkungen. Die Leidtragenden sind in besonderer Weise die Armen, vor allem in den Ländern des Südens. Sie sind am meisten von den Klimakatastrophen betroffen. Damit verbindet der Papst die ökologische Frage mit der sozialen Frage. Der ganze Text ist ein Appell an die Leserinnen und Leser, die Auswirkungen der ökologischen Krise auf die Menschen und besonders auf die Armen zu sehen. Dieser Zusammenhang gehört wesentlich zur ganzheitlichen Ökologie. Der Text ist im Ganzen als eine Umweltsozialenzyklika zu verstehen.

Verschiedene Disziplinen und unterschiedliche Akteure haben die Krise zu analysieren und zu bewältigen. Die Beurteilungen aus ganz unterschiedlichen Warten tragen dazu bei, dass nicht vergessen wird, dass und wie alles zusammengehört und voneinander abhängt. Es wird zudem sichergestellt, dass möglichst viele Akteure mit im Boot sitzen. Mehrmals und an verschiedenen Stellen dankt der Papst allen, die sich für die Bewältigung der Umweltprobleme einsetzen. Lobend erwähnt er dabei auch internationale Abkommen. Kritisch befragt er aber ebenso deutlich die geltende Weltwirtschaftsordnung, das Nord-Süd- und damit das Reich-Arm-Gefälle, das Streben nach Profit ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt, die Gleichgültigkeit und Trägheit mancher Verantwortungsträger in Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und auch in den Kirchen. Dazu gesellt sich ein gewisses Menschenbild, das den Menschen von seiner Umwelt isoliert, sie beherrscht und das Glück nur im immer grösseren Konsum sucht. Gerade das Christentum will die Erde aber nicht beherrschen, sondern bebauen, hegen und pflegen und schützen.

Eindringlich ruft der Papst zum Dialog, zur Diskussion und zur Debatte auf. Lösungen müssen gemeinsam erarbeitet und angestrebt werden. Dazu gehören die Wissenschaften und die Forschung, die Wirtschaft, die Politik und die Religionen. Auf Kulturen und Spiritualitäten ist Rücksicht zu nehmen. Im Letzten fordert der Papst den Primat der Politik vor der Wirtschaft. Dazu braucht es internationale Standards und Regeln, die gepaart sind mit wirksamen Kontrollmechanismen. Das gilt beispielhaft für die Wasserfrage: Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist ein fundamentales Menschenrecht und darf nicht als Ware dem Markt unterworfen werden. Dem einzelnen Menschen rät er zur Entschleunigung, zur Achtsamkeit gegenüber den Mitmenschen und der Schöpfung, zur Zurückhaltung im Verbrauch von Ressourcen. Ein neuer Lebensstil ist gefragt. Auch kleine Gesten sind wirksam. Kreativität bei umweltgerechten Produktionsmethoden, die gleichzeitig Arbeitsplätze vor Ort schaffen statt sie abzuschaffen, zahlt sich ökologisch und sozial aus. Den Christen legt er eine franziskanische Schöpfungsspiritualität ans Herz. Hier gehen die Sorge um die Natur Hand in Hand mit der Gerechtigkeit gegenüber den Armen, das Engagement für die Gesellschaft Hand in Hand mit dem Lob Gottes und dem Gebet um inneren Frieden.

Der Text schliesst mit zwei sehr schönen und eindringlichen Gebeten. Ich hoffe, dass die Enzyklika ein Anstoss ist, den Ernst der Lage zu erkennen und gute Schritte in die Zukunft zu tun zum Schutz unseres Planeten. Gelobt sei sie, Schwester Erde.

+Felix Gmür, Bischof von Basel
Verantwortlicher für den Bereich „Kirche und Gesellschaft“ der Schweizer Bischofskonferenz

Bischof Felix Gmür über die Enzyklika „Laudato si‘“