Christkatholisch in der Schweiz

Die Namen christkatholisch in der Schweiz und altkatholisch in anderen Ländern bezeichnen selbständige, miteinander zu einer Gemeinschaft (die „Utrechter Union“) verbundene Kirchen, die im Glauben und im Gottesdienst katholisch ausgerichtet und in ihrer Verfassung bischöflich-synodal geprägt sind. Die beiden Namen beinhalten auch ein kirchliches Programm. Christkatholisch: Christus soll das Haupt der (katholischen) Kirche sein. Altkatholisch: Die Alte (katholische) Kirche des ersten Jahrtausends soll die Grundlage sein für eine Reform der Kirche, die auf ihre Einheit und die Erneuerung ihrer Glieder zielt. Die Alte Kirche ist Kontrastmodell zu späteren Entwicklungen: Sie ist noch nicht in auseinanderstrebende Konfessionskirchen gespalten, und sie wird nicht von einem alles bestimmenden Zentrum aus regiert.

Entstehung und Reformen
Auf dem 1. Vatikanischen Konzil wurden 1870 nach heftigen Auseinandersetzungen zwei die Gläubigen bindende Glaubenswahrheiten verkündet: 1) dem Papst kommt als dem obersten Haupt der Kirche die Regierungsvollmacht über die ganze Kirche zu; 2) die Entscheidungen des Papstes sind unfehlbar, wenn er als oberster Hirte und Lehrer in Fragen des Glaubens und der Sitte spricht.
Damit kam in der katholischen Kirche eine Entwicklung zu einem Abschluss, die in der Vergangenheit immer wieder umstritten war und Widerstände ausgelöst hatte und die auch die grossen Trennungen mitbedingt hatte. Katholiken, die nun offen gegen diese beiden Dogmen des Jurisdiktionsprimates und der Lehrunfehlbarkeit des Papstes auftraten, weil sie die päpstliche Machtzentrierung und das damit verbundene Kirchenverständnis ablehnten, hatten keinen Platz mehr in ihrer Kirche, sie wurden exkommuniziert.
Dies alles führte in Deutschland, der Schweiz und Österreich zur Entstehung von altkatholischen Bistümern. In der Schweiz dauerte das von 1871-1876. 1875 konstituierte sich eine nationale Synode, und sie genehmigte eine Kirchenverfassung. 1876 wählte sie in der Person des früher in Luzern lehrenden Theologieprofessors Eduard Herzog (1841-1924) ihren ersten Bischof. Er wurde vom deutschen altkatholischen Bischof geweiht, der seinerseits von einem Bischof der Kirche von Utrecht (NL) die Bischofsweihe empfangen hatte. Die seit dem 8. Jahrhundert bestehende Kirche von Utrecht geriet 1723/24 anlässlich der Wahl und der Weihe eines neuen Erzbischofs von Utrecht, die der Papst nicht erlauben wollte, mit Rom in einen Zustand der Trennung. Über die Kirche von Utrecht stehen alle altkatholischen Kirchen in der sogenannten apostolischen Sukzession.
Mit der Entstehung der von einigen Kantonsregierungen geförderten christkatholischen Kirche waren zunächst grosse Hoffnungen verbunden. Es zeigte sich aber bald, dass sie eine Minderheit blieb. Das hatte auch mit den anfangs chaotischen Verhältnissen der christkatholischen Bewegung im sogenannten Kulturkampf zu tun, die viele abschrecken mussten. Abgesehen vom aargauischen Fricktal und dem solothurnischen Niederamt bildeten sich auf Dauer nur in den grossen, meist ursprünglich reformierten Städten und einigen wirtschaftlich aufstrebenden Orten christkatholische Gemeinden. Das geschah dort, wo Katholiken sich einem politischen Liberalismus geöffnet hatten und sich gegen alles wehrten, was sie als geistliche Bevormundung empfanden.
Die Christkatholische Kirche der Schweiz verband ihren Protest gegen die Papstdogmen mit Reformen (u.a. Verwendung der Muttersprache im Gottesdienst, Einführung von allgemeinen Bussfeiern, Aufhebung des Pflichtzölibats für Geistliche). Es waren Reformen, die mit dem 2. Vatikanischen Konzil teilweise auch in der römisch-katholischen Kirche verwirklicht wurden.
Wichtig war die Mitbeteiligung von Laien an der Leitung der Kirche. Das wurde etwa mit der Errichtung einer Synode (vom griechischen Wort „zusammen einen Weg gehen“), zu der die Geistlichen und Laiendelegierte der Kirchgemeinden gehören, verwirklicht. In der bischöflich-synodalen Kirchenstruktur tritt die grundsätzliche Mitverantwortung aller Getauften am Leben der Kirche wohl am deutlichsten in Erscheinung. Damit wurden Anliegen aufgenommen, die heute etwa mit der Forderung nach „Demokratisierung der Kirche“ formuliert werden.

Die Utrechter Union der Altkatholischen Kirchen
Es brauchte einige Jahre der Klärung und Konsolidierung, bis die vier genannten Kirchen mit ihrer geschichtlich verschiedenen Herkunft sich als eine verbindliche Gemeinschaft erkennen konnten. Das geschah 1889 in Utrecht, wo sich die Bischöfe mit ihren Kirchen zur sogenannten Utrechter Union zusammenschlossen. Sie legten auch in der Gestalt der sogenannten „Utrechter Konvention“ die Grundsätze ihrer kirchlichen Einheit und Gemeinschaft fest.
Später stiessen noch weitere bischöflich-synodale Kirchen dazu. Heute gehören zur Utrechter Union sieben altkatholische Kirchen in den Niederlanden, Deutschland, der Schweiz, Österreich, Tschechien, Polen und Kroatien. Hinzu kommt die historisch bedingte Jurisdiktion in Frankreich (Mission Vieille-catholique francophone, Union d‘ Utrecht).

Die weitere Suche nach der Einheit – Ökumene
Die Reformen standen von Anfang an im Zusammenhang mit dem Bemühen, der Wiedervereinigung der Kirchen zu dienen. Die grundsätzliche, in Freiheit und Bindung sich vollziehende Orientierung an dem Glauben, dem Gottesdienst und der Verfassung der Alten Kirche führte die entstehenden altkatholischen Kirchen in engere Beziehungen zu den orthodoxen und den anglikanischen Kirchen. Die Altkatholiken haben in ihnen diejenigen gesehen, die ihnen theologisch am nächsten stehen und mit denen sie in einem gewissen Sinn eine Mitte bilden zwischen der römisch-katholischen Kirche und den reformatorischen Kirchen.
Es besteht seit 1931 kirchliche Gemeinschaft („full communion“, Amts- und Sakramentsgemeinschaft) mit den Anglikanischen Kirchen. Ein intensiver theologischer Dialog mit der gesamten Orthodoxen Kirche hat 1975-1987 zur Erkenntnis einer gemeinsamen Basis im Glauben geführt, doch stehen einer kirchlichen Gemeinschaft noch Hindernisse entgegen.
Eine praktisch ausgerichtete ökumenische Arbeit verbindet die christkatholischen Gemeinden in der Schweiz mit der evangelisch-reformierten und seit dem 2. Vatikanischen Konzil mit der römisch-katholischen Kirche; im Verhältnis zu ihr hat jahrzehntelange gegenseitige Verunglimpfung einer freundlichen Annäherung Platz gemacht.
Altkatholische Kirchen gehören auf Grund ihres Antrittgesetzes zu den Gründungsmitgliedern des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Auf europäischer (Konferenz Europäischer Kirchen) und nationaler Ebene (Arbeitsgemeinschaften christlicher Kirchen) suchen sie weiterhin einen Beitrag zu leisten, der über ihre zahlenmässige Bedeutung hinaus geht.

Heutiger Bestand
In der Schweiz bekennen sich gegenwärtig rund 12’000 Menschen zur christkatholischen Kirche. Etwa die Hälfte lebt aus geschichtlichen Gründen in den Kantonen Aargau und Solothurn. Kirchgemeinden gibt es im weiteren in den Kantonen Zürich, Bern, Luzern, Basel-Stadt, Basel-Land, Schaffhausen, St. Gallen, Neuenburg und Genf. Wo in diesen Kantonen Kirchen öffentlich-rechtlich anerkannt sind, gelten die Christkatholiken neben den Römisch-Katholiken und den Reformierten als eine Landeskirche.
Ein grosser Teil der Christkatholiken lebt aber wegen der modernen Mobilität zerstreut über die ganze Schweiz, in grösserer oder geringerer Nähe zu den bestehenden Kirchgemeinden. Die Kirche hat für die Diaspora ein Netz der Betreuung (Religionsunterricht, Seelsorge, Gottesdienste) geschaffen, das grosse Anstrengungen erfordert.
Der Sitz des Bischofs ist in Bern. An der dortigen Universität befindet sich das Christkatholische Departement (als Teil der Theologischen Fakultät), das nicht nur die künftigen Geistlichen für die Schweiz ausbildet, sondern auch die einzige altkatholische universitäre Einrichtung der Welt mit Promotions- und Habilitationsrecht ist. An ihm absolvieren immer wieder Studierende aus anderen altkatholischen Kirchen und besonders auch aus orthodoxen Kirchen eine Nachdiplom-Weiterbildung oder ein Doktoratsstudium.
Das Christkatholische Hilfswerk „Partner sein“ unterstützt regelmässig kleinere Entwicklungsprojekte in Osteuropa und in der dritten Welt, hier oft in Zusammenarbeit mit anglikanischen Bistümern oder der Philippinischen Unabhängigen Kirche.

Gegenwart und Zukunft
Die meisten Kirchgemeinden haben 300 bis 500 Mitglieder. Das ermöglicht ein übersichtliches Gemeinschaftsleben, das seinen Mittelpunkt in der Eucharistiefeier am Sonntag hat. Was darüber hinaus auf Gemeinde-, Regional- oder Bistumsebene angeboten wird, lässt sich hier nicht aufzählen. Neue Wege können auf verschiedenen Ebenen des Bistums diskutiert und allenfalls auch verwirklicht werden. So hat die christkatholische Kirche, nach ausführlichen Konsultationen im Schoss der Utrechter Union und unter Mitberücksichtigung des theologischen Gesprächs in anderen Kirchen, die Grundlage dafür gelegt, dass mit dem apostolischen Amt (Bischof, Priester/Presbyter, Diakon) auch Frauen betraut werden.
Freilich gilt auch für die christkatholische Kirche, dass sie trotz ihrer geringen Zahl den Charakter einer Volkskirche hat, wo etwa 20 % der getauften Mitglieder sich am Leben der Kirche beteiligen, während die übrigen sie ideell und materiell unterstützen mögen. Ihre Kleinheit kann Geborgenheit vermitteln, sie kann aber auch zu Enge und Kleinmut führen, wovon es sich zu befreien gilt.
Umso mehr kommt in der christkatholischen Kirche das Engagement von Menschen zum Tragen, die vom Evangelium Gottes angestossen sind und die in einem mit den Wurzeln verbundenen, weltoffenen Katholizismus zu leben gewillt sind.

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