Interview Bischof Joseph Bonnemain

Information zum Pilotprojekt zur Erforschung der Geschichte sexueller Ausbeutung im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz

 

Zürich, 6. Dezember 2021

 

Vier Fragen an Bischof Joseph Bonnemain, Ressortverantwortlicher des Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz

 

Was ist der Anlass für diese Studie?

Über Jahrzehnte wurden Vorfälle sexueller Gewalt durch kirchliches Personal vertuscht, die Opfer wurden ignoriert und die Taten blieben ungestraft. Es ist nur redlich, die Verbrechen der Vergangenheit aufzudecken. Es ist den Betroffenen geschuldet, sie ernst zu nehmen. Die unabhängige, wissenschaftliche Erforschung soll Transparenz schaffen und der Kirche in der Schweiz helfen, sich den eigenen Defiziten zu stellen und die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Konfrontation mit einer ungeschönten und unabhängigen Betrachtung der Vergangenheit ist dringend notwendig. Nur so werden wir auf individueller und struktureller Ebene lernen, sexuelle Ausbeutung in der Seelsorge künftig zu verhindern.

 

Das Problem ist seit vielen Jahren bekannt. Was wurde bisher unternommen?

Die wichtigsten Schritte waren: Der Erlass schweizweiter Richtlinien, in denen unter anderem auch die Zusammenarbeit mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden geregelt wird; Verstärkung der Prävention durch die Bistümer, Klöster und Kantonalkirchen mit Hilfe von Mitarbeiterschulungen, Schutzkonzepten und Verhaltensrichtlinien. 2016 folgte der von den Schweizer Bistümern, den Ordensgemeinschaften und kantonalkirchlichen Organisationen getragene Genugtuungsfonds. Er entschädigt Opfer von Missbrauchsfällen, die sowohl nach staatlichem als auch nach kirchlichem Recht verjährt sind.

Die wissenschaftliche Aufarbeitung ist ein weiterer wichtiger Schritt, der in erster Linie den Opfern geschuldet ist. Wir wollen damit als Kirche Verantwortung übernehmen und uns der Vergangenheit stellen.

 

Warum legt die Studie den Fokus auf eine historische Untersuchung?

Alles deutet daraufhin, dass es für die Übergriffe im kirchlichen Kontext nicht nur individuelle, sondern auch systemische Ursachen gibt. Es interessieren nicht nur einzelne Taten, sondern die grossen Zusammenhänge. Das Pilotprojekt wird mit historischer Grundlagenforschung beginnen, um die Voraussetzungen für weiterführende Forschungsarbeiten zu klären und zu schaffen. 

 

Was bedeutet die Studie für Sie persönlich?

Die flächendeckende Studie ist ein weiterer wichtiger Schritt, mit dem wir unserem Schuldbekenntnis konkrete Massnahmen folgen lassen. Die vertiefte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird hoffentlich weitere Opfer dazu ermutigen, erlittene Übergriffe anzusprechen und gegebenenfalls anzuzeigen. Und sie liefert uns die Grundlage, um als Institution unsere Verantwortung noch entschlossener zu übernehmen und Strukturen so anzupassen, dass sie sexuelle Ausbeutung möglichst verunmöglichen.

 

 

Bischof Joseph Maria Bonnemain, Diözesanbischof von Chur, ist Ressortverantwortlicher des Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz. Vor der Ernennung zum Bischof war er von 2002 bis 2021 Sekretär des Fachgremiums.

 

Joseph Maria Bonnemain steht am Montag, 6. Dezember 2021 von 14 bis 17 Uhr für weitere Fragen zur Verfügung.

 

Medienanfragen an: Stefan Loppacher, Co-Leiter der Geschäftsstelle des Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz, Tel. 079 301 58 67, E-Mail stefan.loppacher@fgsbk.ch