"Dieser Schritt hin zum synodalen Prozess ist prophetisch!"

Der synodale Prozess geht in die nächste Runde: Nachdem sowohl die nationalen Befragungen als auch die kontinentale Phase der Synode 2021-2024 abgeschlossen sind, findet nun, von 4. bis 29. Oktober 2023, die erste von zwei Sitzungen der Weltbischofssynode in Rom statt.

Zum ersten Mal in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche werden dabei nicht nur Bischöfe, sondern auch Laien an der Synode teilnehmen. Eine davon ist Helena Jeppesen-Spuhler. Die Aargauerin arbeitet bei Fastenaktion als Koordinatorin des Landesprogramms Philippinen und wird als europäische Laienabgeordnete bei der Synode mitreden, gemeinsam mit Bischof Felix Gmür als Vertreter der Schweiz und Claire Jonard als Moderatorin einer französischsprachigen Gruppe.

Der Kommunikationsdienst der SBK hat Helena Jeppesen zum Gespräch getroffen – über den synodalen Prozess im internationalen Vergleich, die Zusammenarbeit mit Bischof Felix Gmür und die Wichtigkeit fremder Perspektiven.


Kommunikationsdienst: Liebe Helena, nach dem kontinentalen Prozess und dessen Abschluss an der Versammlung in Prag folgt nun die Weltbischofssynode in Rom. Wieviel nimmst du von den Diskussionen in Prag mit nach Rom?

Helena Jeppesen: Viel. Das liegt auch am guten Bericht, den die Schweiz nach Prag gebracht hat: Zwei oder drei Passagen konnten wir fast wortwörtlich in das europäische Dokument einbringen. Ausser der Frauenordination wurden fast alle unsere Anliegen in das Instrumentum Laboris aufgenommen. Wie weit wir es mit diesen Anliegen in Rom bringen, werden wir sehen. Was mich mehr beschäftigt, ist, dass in der Schweiz selbst wenig Energie vorhanden zu sein scheint im Hinblick darauf, Veränderungen anzupacken – sowohl in den Diözesen wie auch auf nationaler Ebene.

Was kann die Schweiz in dieser Hinsicht im internationalen Vergleich lernen?

Natürlich: Im internationalen Vergleich sind wir verhältnismässig weit – in Italien haben sich die Bischöfe im Gegensatz dazu richtiggehend gegen den synodalen Prozess gewehrt. Das war in der Schweiz anders: Als Papst Franziskus den synodalen Prozess ausgerufen hat, ist die SBK darauf eingestiegen.

Aber wir können trotzdem noch viel lernen. Letztes Jahr habe ich eine Diözese in Kolumbien besucht: Das war fantastisch zu sehen, wie regional da gearbeitet wird . Quasi auf Bistumsregionsebene wurde dort über den synodalen Prozess gesprochen, welches die Schwerpunkte sind, was die Menschen einbringen möchten, was sich ändern muss – da ist die Synodalität ganz an der Basis angekommen. Die lateinamerikanischen Länder haben diese Tradition viel stärker als zum Beispiel die Schweiz: Die Theologie an die Basis zu bringen.

Ist denn in der Schweiz die Theologie an der Basis nicht mehr vorhanden? Wird unter einfachen Gläubigen nicht mehr theologisiert?

Meiner Erfahrung nach haben viele bereits resigniert. Viele wurden enttäuscht, sagen: dass sie sich nicht mehr einsetzen mögen, das so lange vergebens gemacht haben. Bei den älteren Menschen bedeutet das, dass sie sich schon für die Synode 72 eingesetzt haben, und deshalb nicht mehr mögen. Viele merken aber auch: Eigentlich ist das jetzt die Wiederaufnahme des II. Vatikanums – wir arbeiten hier weiter am II. Vatikanum!

Der Vorwurf kommt oft: In Europa werden ganz andere Anliegen und Probleme diskutiert als im Rest der Welt. Deckt sich das mit deinen Erfahrungen in Prag?

Die Befragungen weltweit waren sehr wertvoll und haben aufgezeigt: Dieselben Anliegen gibt es weltweit, auf den Philippinen, in Thailand, im Kongo – man muss einfach richtig hinhören und mit verschiedenen Leuten sprechen. Es gibt weltweit ganz viele Laien, die sich engagieren, die Chancen sehen, Fragen einbringen. Auch in Zusammenarbeit mit den Bischöfen, die reformfreudig sind – denn die gibt es.  Es gilt nicht Laien gegen Bischöfe, sondern die Linie verläuft quer durch die Synode. Es gibt viele progressive Bischöfe, und es gibt unter den Laien sehr konservative Stimmen.

In Prag ist mir aber erneut klar geworden, wieviel Macht die Bischöfe im Vergleich zu den Laien haben. In der Schweiz sind uns die Bischöfe zum Glück sehr nah und mit uns im Austausch. Aber in der Synode ist das Verhältnis ein anderes, allein schon bedingt durch die jeweilige Anzahl Teilnehmender. Entscheiden die Bischöfe dann unter sich, aus ihrem Blickwinkel, dann ist das einseitig. Wenn ein europäischer Bischof der Überzeugung ist, dass die Frauen in Afrika ganz andere Probleme hätten als die Frauen in Europa, dann muss man rückfragen: Mit wem er das besprochen hat? Und dann wird oft klar, dass er das von den afrikanischen Bischöfen erfahren hat. Würde er aber mit afrikanischen Frauen reden, würden sie ihm vielleicht etwas ganz anderes erzählen.

Was ich damit sagen will: Wenn Nicht-Kleriker mit afrikanischen Frauen sprechen, oder zum Beispiel auch Jugendliche mit anderen Jugendlichen, dann stehen andere Anliegen im Zentrum.

Kann man sagen, dass nicht unbedingt Meinungsverschiedenheiten im Vordergrund stehen, sondern eher ein fehlender Austausch, ein Mangel an anderen Blickwinkeln?

Ja, dass jetzt Menschen aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern der Kirche dabei sind, ermöglicht allen Beteiligten einen ganz anderen Austausch. Das haben in Prag auch die Bischöfe gesagt. Sie wollten ursprünglich nach der Synode in Prag einen eigenen Bericht verfassen. Die Bischöfe haben sich dann aber darauf geeinigt, dass das keinen Sinn mache. Ganz im lateinamerikanischen Geist, welcher nicht nur die kontinentale Bischofskonferenz kennt, sondern auch Kirchenversammlungen unter Einbezug der Laien. Solche weltkirchlichen Strukturen erfordern auch einen Bericht, in dem alle Stimmen aufgenommen werden. Ich denke, das ist die Zukunft. Wir werden sehen, ob es in Rom nächstes Jahr auch eine Kirchenversammlung geben wird – oder etwas ganz anderes.

Wieviel ist vom Programm im Oktober und vom weiteren Vorgehen in Rom schon bekannt?

Die Synode findet in zwei Teilen statt und die Frage, ob an beiden Teilen dieselben Delegierten teilnehmen werden, ist noch offen. Das weiss noch niemand! Bischof Felix geht davon aus, dass die Zusammensetzung gleich sein wird – ich bin mir da nicht sicher.

Auch für die kommende Synode sind die Abläufe noch nicht festgelegt. Wer wann dabei sein darf, werden wir erst noch erfahren.

Du hast gesagt, die Linien verlaufen ganz anders als gedacht – wie verstehst du in diesem Zusammenhang deine Rolle?

Ich bin eine der zehn europäischen nicht-bischöflichen Delegierten, deswegen vertrete ich eigentlich den europäischen kontinentalen Teil. Der eigentliche Schweizer Delegierte ist Bischof Felix. Und Claire Jonard, eine Belgierin, arbeitet in der Schweiz und wird als Moderatorin einer französischsprachigen Gruppe; das finde ich mega cool. Natürlich sind wir also ein Schweizer Grüppchen, mit der Schweizer Kirche im Blick. Bischof Felix bringt die gesamtschweizerische Perspektive ein, diese ist sehr wichtig – insbesondere die fortschrittlichen synodalen Ansätze in der Schweiz.

Dass wir zum Beispiel die Landeskirchenparlamente haben, die schon Synoden heissen, das ist einzigartig in der Welt – und diese Impulse können und müssen wir in die Weltkirche einbringen, nach Rom tragen, und dann die Erfahrungen aus der Weltkirche wieder zurückbringen.

Wie gestaltet sich die Arbeit mit Bischof Felix und Claire Jonard?

Wir haben uns schon gemeinsam vorbereitet, beispielsweise per Zoom, gemeinsam mit den anderen Teilnehmenden an der Prager Synode – damals wussten jedoch Claire Jonard und ich noch gar nicht, dass wir an der Synode teilnehmen werden. Jetzt fängt der Austausch zu dritt erst richtig an. Claire Jonard wird eine französischsprachige Gruppe moderieren, was spannend ist, da sie damit auch mit afrikanischen Stimmen in Austausch stehen wird. Wo Bischof Felix und ich eingeteilt werden, das ist noch offen. Wir wissen zum Beispiel noch nicht, ob es deutschsprachig Arbeitsgruppen geben wird, sicher aber englisch- und französischsprachige.

Spannend dabei ist: dass ausserhalb der offiziellen Diskussionen die Gespräche wahrscheinlich weiterlaufen werden, genau wie in der Politik. Am Abend wird man sich austauschen darüber, was wo lief, was besprochen wurde. Darin, sich mit allen zu Meinungsverschiedenheiten auszutauschen, ist Bischof Felix sehr stark. Er hat auch den Vorteil: Im deutschsprachigen Raum als reformorientierter Bischof bekannt zu sein. Das bringt ihm viel Unterstützung ein. Er kann mit fast allen einen konstruktiven Dialog führen und kennt sehr viele Personen, zu denen wir als Laien keinen Zugang haben. Gleichzeitig haben wir Kontakte, die Bischof Felix nicht hat.

Ist das bei anderen Delegationen auch so?

Diese Art der Zusammenarbeit ist auch die Stärke der lateinamerikanischen Kirche. Viele afrikanische bischöfliche Vertretungen dagegen sind meiner Meinung nach noch nicht so weit. Trotzdem, Allianzen können auch über Gräben hinweg geschmiedet werden. Die Mitte, die gemässigt Konservativen, werden entscheidend sein. Mit ihnen kann man reden: Sie rücken vielleicht nicht sofort von ihrer Position ab, aber sie hören zu und nehmen Andere ernst.

Wie beurteilst Du das Potenzial dieser Synode für die Weltgemeinschaft?

Wenn man in Betracht zieht, dass eine der grossen gesellschaftlichen Krisen heutzutage die Entdemokratisierung der Gesellschaft ist, dann finde ich den Schritt von Franziskus hin zum synodalen Prozess ehrlich gesagt prophetisch. Da sagt er einfach: Synodalität stecke eigentlich in den Genen der Kirche und wir müssten über lokale Lösungen nachdenken. De facto sehen wir damit in der römisch-katholischen Kirche eine Gegenbewegung zu den politischen Trends – und das hat etwas Prophetisches.

Interview: Sebastian Schafer, 18. August 2023

Bild: Helena Jeppesen (mitte) in Prag, gemeinsam Prof. Monique van Dijk und Josianne Gauthier, zwei Delegierten aus Holland und Brüssel.