Ehe für alle: Stellungnahme von Mgr. Valerio Lazzeri

Ehe für alle: diverse Fragen bleiben ungeklärt

In naher Zukunft wird es unsere Aufgabe sein, über die Gesetzesvorlage zur sogenannten «Ehe für alle» abzustimmen. In unserem kulturellen Kontext ist es kein Leichtes, nachzuvollziehen, wie ein derartiges Vorhaben so viele und so gewichtige Fragen aufwerfen kann. Die Ursache dafür, und die wird meist als Selbstverständlichkeit abgetan, ist der Umstand, dass mit der Anerkennung eines Unterschieds unweigerlich eine Diskriminierung einhergeht. Demnach würde man also, wenn man nach wie vor den Begriff «Ehe» für die Verbindung zwischen Mann und Frau mit Blick auf die Zeugung und Erziehung des Nachwuchses vorsehen würde, gleichgeschlechtliche Paare weiterhin ungleich behandeln, da sie derzeit nicht in den Genuss eines Teils der Privilegien kommen, der an die Verbindung heterosexueller Paare geknüpft ist. Man täte also gut daran, als Erstes eine offenkundige ungleiche Behandlung der Bürgerinnen und Bürger ein und desselben Staates zu beseitigen, indem man die Definition eines herkömmlichen Begriffs neu formuliert.
Allein, wie auch immer man es betrachtet, welchen Blickwinkel man auch einnehmen mag, eins scheint gewiss: dass wir es bei dieser Aufgabe nicht nur mit einem «Korrigendum» rein sprachlicher Natur zu tun haben dürften. Weitet man den Status der zivilrechtlichen Ehe auf die Verbindung zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren aus, dann tut man es mit dem Ziel – und das dürfte für jedermann klar sein –, jeder Form von Paar das Recht auf Elternschaft einzuräumen.

So ist das Szenario, das sich darstellt, nicht nur jenes einer möglichen Adoption, sondern auch jenes des verfassungs- und rechtmässigen Zugangs zu jenen Eingriffen, deren es bedarf, wenn man in jedweder von Unfruchtbarkeit geprägten Situation Nachwuchs zeugen möchte, wobei es um Eingriffe ausserhalb der erwähnten ehelichen Verbindung geht.
Und genau in diesem Punkt liegt die Krux bei der Gesetzesänderung, die dem Schweizer Volk zur Abstimmung vorgelegt wird, und deshalb erfordert sie ein sorgfältigeres und kritischeres Nachdenken. Denn sobald der Begriff «Ehe» sowohl für heterosexuelle als auch für homosexuelle Partnerschaften verwendet wird, ist die Debatte über solch heikle Fragen vorprogrammiert, was für die Zukunft unseres Zusammenlebens als Bürgerinnen und Bürger von erheblicher Bedeutung ist. Die Konsequenzen einer «Ehe für alle» werden nicht nur diejenigen betreffen, die diese Ehe eingehen. Sie werden eine Reihe von ethischen Fragen aufwerfen, die mit dem Ursprung des Lebens und der Würde jedes einzelnen Menschen zusammenhängen und die bisher noch nicht geklärt worden sind.

Was bedeutet es für einen Menschen, als Kind eines Vaters und einer Mutter geboren zu werden oder bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufzuwachsen, die für es diese Form von Einführung ins Beziehungsleben gewählt haben? Was bedeutet es für Psyche und Lebenslauf eines Individuums, eine männliche und eine weibliche Bezugsperson zu haben? Welche Empfängnismethoden sollten nicht im Einzelfall, sondern generell zur Verfügung stehen, um verheirateten gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit zu geben, Kinder zu bekommen? Reichen die positiven Erfahrungen einzelner gleichgeschlechtlicher Paare, die aus unterschiedlichen Gründen bereits elterliche Aufgaben wahrnehmen, aus, um jeden begründeten Zweifel an der Angemessenheit einer solch radikalen Reform unserer derzeitigen Familienordnung auszuräumen?

Die katholische Kirche ist heute nur ein Teil der komplexen Gesellschaft, in der wir leben. Sie erhebt nicht den Anspruch, ihre Vorstellung von Familie und Ehe allen aufzuzwingen. Sie hat nichts dagegen einzuwenden, dass der Staat gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zunehmend einen angemessenen Rechtsschutz gewährt. Dennoch kann sie sich nicht der Aufgabe entziehen, ihre Stimme zu dem zu erheben, was ihr am Herzen liegt, das heisst, zu dem, was ihr im Lichte des Wortes Gottes als authentisch menschlich und unveräusserlich erscheint. Ebendies hindert sie daran, die Gesetzesvorlage zu befürworten. Ihre spezifische Zuständigkeit bezieht sich natürlich unmittelbar auf die Ehe, die für die Gläubigen als Sakrament der Verbindung von Mann und Frau zur Zeugung des Lebens sowie zur Betreuung und Erziehung der Kinder gefeiert wird. Angesichts der kulturellen Veränderungen, die sich auf die Bedingungen auswirken, unter denen neue Menschen entstehen, fühlt sich die Kirche verpflichtet, alle zu einer verantwortungsvollen Wachsamkeit aufzurufen, zu der Notwendigkeit, sich nicht als völlig autonome und unabhängige Schöpfer des eigenen Schicksals und jenes der anderen zu verhalten, sondern als demütige und aufmerksame Diener des unermesslichen und schwer fassbaren Geheimnisses des Lebens.

Mons. Valerio Lazzeri, Bischof von Lugano

Erklärung der Schweizer Bischofskonferenz zur «Ehe für alle»