Gebets- und Bussfeier für die Opfer sexueller Übergriffe im kirchlichen Umfeld

Basilika von Valeria 5.dec.2016

Auf Einladung der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) hat am Montag in der Basilika von Valeria in Sitten eine Gebets- und Bussfeier für die Opfer sexueller Übergriffe im kirchlichen Umfeld stattgefunden. Die Bischöfe, Vertreterinnen und Vertreter der Höheren Ordensoberen und der staatskirchenrechtlichen Körperschaften sowie eine Delegation der Opfer beteten gemeinsam an dem Wallfahrtsort, zu dem seit Jahrhunderten die Menschen hinaufsteigen, um dem Herrn vorzubringen, was sie auf dem Herzen haben.

Der Gebets- und Bussfeier stand der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Charles Morerod, vor. Er bekannte im Gebet: „Grosse Schuld ist in unserer Zeit in der Kirche und auch in unseren Diözesen und Gemeinschaften offenbar geworden – eine Schuld Einzelner; eine Schuld, die auch durch bestimmte Strukturen sowie Verhaltens- und Denkmuster ermöglicht worden ist. Die Schuld ist mehrschichtig: der Übergriff, das gleichgültige Schweigen, die unterlassene Hilfe für das Opfer. Wir fühlen uns auf verschiedenen Ebenen verantwortlich und verdanken den Opfern, dass sie uns die Augen geöffnet haben.“

Mit der Durchführung der Gebets- und Bussfeier folgte die Bischofskonferenz einem Wunsch von Papst Franziskus, dass die katholische Kirche weltweit solche Gebets- und Bussfeiern durchführe.  Gleichzeitig nahmen Vertreter und Vertreterinnen der Schweizer Bischofskonferenz, der Vereinigung der Höheren Ordensoberen (VOS’USM) und der Römisch-katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) die Gelegenheit wahr, um in einer separaten Medienkonferenz über den Stand der Frage der sexuellen Übergriffe im kirchlichen Umfeld zu informieren.

Auf nationaler Ebene wurden die Richtlinien der SBK seit der ersten Ausgabe 2002 zwei Mal intensiv überarbeitet und weiterentwickelt. Die SBK war eine der ersten Bischofskonferenzen weltweit, welche verbindliche Richtlinien erliess darüber, wie Übergriffen auf Kinder oder Erwachsene vorzubeugen und wie mit Opfern und Tätern umzugehen ist. In der 2014 erschienenen dritten Auflage schloss sich die VOS’USM den Richtlinien der SBK an. Zudem beschränkt sich seither der Geltungsbereich der Richtlinien nicht mehr nur auf Personen, die im engeren Sinn in der Seelsorge tätig sind, sondern umfasst alle im kirchlichen Bereich tätigen Personen wie z.B. in der Katechese, in Jugend- und Sozialarbeit, Kirchenmusik.

Genugtuungsfonds für verjährte Fälle

Besonders bedrückend empfinden die Kirchenverantwortlichen die Situation der Opfer früherer sexueller Übergriffe, die nach staatlichem und kirchlichem Recht verjährt sind, und die während langer Zeit von kirchlichen Instanzen weder Gehör noch Genugtuung erhalten haben. Als jüngste der zahlreichen Massnahmen, die bisher umgesetzt wurden, wurden über die Anerkennung der Mitschuld die rechtlichen und finanziellen Grundlagen zur Ausrichtung von Genugtuungsbeiträgen geschaffen. Es existiert nun ein Genugtuungsfonds in der Höhe von rund Fr. 500’000, der von der SBK, der VOS’USM und RKZ geäufnet worden ist. Eine eigenständige Kommission entscheidet über die Ausrichtung und Höhe von Genugtuungsbeiträgen. Die RKZ trägt den Genugtuungsfonds mit, weil in der Schweiz ein Grossteil der kirchlichen Mitarbeiter nach staatlichem Recht ihren Arbeitgeber in den staatskirchenrechtlichen Körperschaften haben.

Vor sechs Jahren, im Sommer 2010, hatten sich die Bischöfe mit einem besonderen Gebet in der Gnadenkapelle von Einsiedeln öffentlich zur Mitschuld der Kirche am Leiden jener Menschen bekannt, die in der Vergangenheit im kirchlichen Umfeld sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren. Sie hatten zudem dazu aufgerufen und ermutigt, dass sich Opfer melden. Die seither umgesetzten vielfältigen Massnahmen auf nationaler, diözesaner, regionaler und kantonaler Ebene dienen sowohl zur Vorbeugung von Übergriffen als auch zur Aufarbeitung aktueller und zurückliegender Fälle.

Statistische Übersicht 2010-2015

Das Fachgremium „Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld“ der SBK hat seit dem Aufruf von 2010 jährlich eine Statistik der gemeldeten Fälle erstellt. Während 2010 im Zeichen des erstmaligen starken Aufrufs in der Schweiz 115 Fälle sexueller Übergriffe den diözesanen Stellen gemeldet wurden, waren die Zahlen der folgenden Jahre deutlich niedriger: 24 (2011), 9 (2012), 11 (2013), 11(2014), 24 (2015). Der grosse Teil der gemeldeten Fälle sexueller Übergriffe geschah in der Zeit von 1950 bis 1990.

Von den 223 in den genannten sechs Jahren gemeldeten Opfern waren zum Zeitpunkt der Taten 49 Kinder unter 12 Jahren, 23 weibliche und 56 männliche Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren, 43 erwachsene Frauen und 38 erwachsene Männer. Bei 14 Opfern waren über das Alter zum Tatzeitpunkt keine Angaben erhältlich.

Was die gemeldeten Täter betrifft, zeigt die Statistik für den genannten Zeitraum ein Total von 204 Tätern, davon waren 103 Weltpriester, 47 Ordenspriester oder Ordensbrüder, 11 Ordensfrauen, 5 Laientheologen oder Laientheologinnen, 6 aus anderen Berufen. Zu 32 gemeldeten Tätern waren keine Angaben erhältlich. Die Statistik des Fachgremiums erfasst das ganze Spektrum möglicher sexueller Übergriffe von sexuell gefärbten Äusserungen und Gesten bis zur Vergewaltigung und Schändung.

Die Schweizer Bischöfe und Ordensoberen sind weiterhin dankbar für jede Meldung von sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld. Sie rufen die Opfer dazu auf, sich an die kirchlichen Anlaufstellen oder an kantonale Opferhilfestellen zu wenden. Den Opfern muss Recht widerfahren und die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden, auch wenn die Übergriffe lange Zeit zurückliegen. – Die Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz halten sich vom 5. bis 7. Dezember zu ihrer 314. ordentlichen Versammlung in Sitten und Visp auf.

Sitten, 5. Dezember 2016

Schweizer Bischofskonferenz
Walter Müller

Informationsbeauftragter